Eduard Trier zu Emil Cimiotti (Januar 1963, Galerie Gunar Düsseldorf)
emil cimiotti hat anfangs „figurengruppen” aus massen und hohlräumen modelliert, - kompositionen à jour, die auf den ersten blick wegen des helldunkeleffektes malerisch erscheinen, aber doch ihrem wesen nach plastische erfindungen sind. vielleicht werden sie malerisch genannt, weil sie entgegen der bildhauerischen konvention bewegte volumina sind, weil sie werdendes und nicht einen zustand darstellen. auch ihr inhalt widerspricht den üblichen forderungen an die plastik, einem gegenstand dauer zu verleihen und ihm eine fest umrissene gestalt zu geben; denn cimiotti's gruppen sind vielbedeutend. ob menschenknäuel oder wuchernde vegetation, das bleibt im ungewissen, nicht im unklaren, da cimiotti's formen an und für sich entschieden sind. ihre vieldeutigkeit ist beabsichtigt, nicht zufallsergebnis. die nächste entwicklungsstufe, äußerlich durch cimiotti's rom-stipendium von 1959 datiert, scheint aus der zwiespältigen situation eine eindeutige folgerung zu ziehen. cimiotti beginnt „landschaften“ zu machen, - felsen und wolken, wälder und bäume, vulkane und inseln. kein zweifel, die plastiken heißen nicht nur so, sie sehen auch so aus, wie sie benannt sind. der Übergang zu diesen neuen kompositionen geschieht in wenigen, kurzen, aber schlüssigen etappen, die von den menschenpflanzen („inselbewohner oder anderes“, wallraf-richartz-museum köln) über „felsen und wolken“ zu den plastischen hügeln der „römischen landschaften“ von 1960 führen. das ist eine plausible entwicklung, die zudem den reiz des ungewöhniichen hat. (als interpret darf man gewissermaßen aufatmen: cimiotti ist als „landschafter“ identifiziert, - in der plastik immerhin ein novum, - und man kann dem weiteren gefaßt entgegenblicken.) allerdings mag sich der eine oder andere grämen, daß die tendenz zur eindeutigkeit mit dem verzicht auf die fast dekorativ wirkende feingliedrigkeit der einzelformen, auf das dramatische der menschengruppen (oder war es das lyrische blühender pflanzenformen?) erkauft wird. die späteren plastiken sind nämlich nicht mehr so „attraktiv“. die dünne haut der à cire perdue gegossenen bronzen wird blasig und grindig, sie zeigt löcher und beulen. man sieht ihr den ursprung an, den abguß nach lappigen, über drähte gezogenen wachsplatten. das malerische, feinteilige, die vielzahl verwandter elemente, all dies weicht wenigen einfachen, fast groben körpern, die man lapidar nennen konnte, wären sie nicht so augenfällig leicht und ausgehöhlt, so daß sie miteinander zu schweben scheinen. angesichts solcher plastischen kompositionen darf von „landschaften“ gesprochen werden. cimiotti hat diese auslegung nicht gescheut, ja sogar selbst angeboten. aber er will sich wohl nicht dauernd darauf festlegen lassen. deshalb heißen seine jüngsten arbeiten von 1961 und 1962 nur noch in der allgemeinsten weise „plastiken“. das kompositorische prinzip, leichte und stellenweise geöffnete volumina über- und nebeneinander zu ballen, ist zwar das gleiche geblieben, aber es fällt auf, daß cimiotti dazu übergegangen ist, den ballungen den boden zu entziehen. sie sind nicht mehr wie in den römischen landschaften gleichnisse der polarität von himmel und erde, sondern nur noch „himmel“, oder - weniger symbolisch ausgedrückt - schwebende formen, die von einer einzelnen stütze getragen werden. diese stütze stößt als stange absichtlich „unorganisch“ in die rundformen hinein, damit sie als technische hilfskonstruktion ohne eigenen formwert erkannt wird. hier liegt die Frage nahe, warum cimiotti dann nicht seine Formen aufhängt? aber das würde einen falschen Effekt bewirken. cimiotti will keine theatralischen inszenierungen und keine „deus-ex-machina“ -lösungen. seine raumhaltigen körper sollen im allraum dahin treiben, bewegt und doch regungslos, schwerelos und dennoch der erde verbunden. solche gegensätze zu vereinen, zu einer überzeugenden einheit zusammenzubringen, erfordert einen hohen grad an künstlerischer kraft und untrüglicher sensibilität. cimiotti hat beides in seinen letzten arbeiten erneut bewiesen. er hat das transitorische und das vieldeutige der formen aus dem bereich der direkten gegenständlichen assoziation herausgenommen und in die reinere sphäre absoluter formbedeutsamkeit erhoben. konnte man vorher bei cimiotti's plastiken von einem „sowohl als auch“ sprechen, so müßte man jetzt mit einem „was auch immer“ ihre unendlich erweiterte bedeutungsspanne zu umschreiben versuchen, denn - und damit überlasse ich cimiotti das letzte wort: „eine linie ist ein baum, ist ein busen, ist eine wolke, ein himmel, ein gesicht und ist dies alles - nicht.“ *)
eduard trier
Anmerkung: *) aus einer stellungnahme emil cimiotti's zu einer rundfrage, veröffentlicht im „jahresring 62/63“, stuttgart 1962, s. 152
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